DAS AMAZON-HAUS – FASZINIERENDE NEUE WELT?
Wieder gibt es einen aktuellen Anlass, über das Thema „Smart Home“ nachzudenken. Ging es anfangs eher darum, Geräte und Funktionen im Wohnhaus zu vernetzen um sie zentralisiert steuern zu können, so geht nun Amazon nach Alexa und Smartdevices den „finalen“ Schritt: Das Amazon-Haus, welches nun der staunenden Menschheit in Form von Alexa-Modellhäusern, sogenannten Experience-Centern, als Produkt präsentiert wird. [vergl. Jochen G. Fuchs: Das Amazon-Haus ist da, der letzte Schritt in der Amazonisierung des Kunden. https://t3n.de/news/amazon-smart-home-experience-center-1078141/ (gesehen am 17.05.2018)]
Bemerkenswert ist, dass nun die komplette Alexa-Integration als schlüsselfertiges System, auf Wunsch bereits fix und fertig konfiguriert in einem Fertighaus, erworben werden können. Dies wird zunächst einmal als groß angelegter Angriff auf die Smarthome-Branche verstanden, der, was noch viel schlimmer ist, in der vollständigen Amazonisierung des Kunden enden wird. Der Autor bemerkt zu Recht: „Die Kundenbindung in diesem goldenen Käfig wird unglaublich sein, denn die Bequemlichkeit dieser automatisierten Welt wird der Kunde nie wieder verlassen wollen.“ – oder sollte man besser sagen, ‚verlassen können‘?
Während man in Europa gerade verschärfte Gesetze zum Datenschutz einführt, erreicht die Sammelwut für Daten in einem Alexa-kontrollierten Haus eine „Perfektion“, die die Personen und ihren Alltag bis ins letzte Detail erfassen lässt. Die Nutzer „verwanzen“ dabei ihr Heim allerdings freiwillig und werden sogar darüber aufgeklärt.
Dies ist jedoch nur das eine Problem, das eigentlich auch nicht neu ist, nur eben hierdurch neuen Schub erfährt. Das andere Problem, das vermutlich weit größer ist, sehe ich in einer weiteren Rückentwicklung der Menschen, die in diese Falle hinein tappen.
Amazon verspricht: „Experience homes that are simpler, easier, smarter. Homes that let you spend more time doing what you love – Amazon has transformed homes into Amazon Experience Centers you can control with your voice through Alexa featuring the benefits of Prime, Home Services, automated delivers, and more.“
Wollen Sie Ihr Heim tatsächlich von profitgierigen Konzernen „transformieren“ lassen und zu deren Marionette werden, die nicht einmal mehr bemerkt, wenn an ihren Fäden gezogen wird? Wollen Sie der Bequemlichkeit wegen alles das mitmachen, was technisch möglich ist und andere Ihnen suggerieren? Wollen wir überhaupt wirklich eine komplette Fernsteuerbarkeit aller Funktionen unserer Heimtechnik? Ich zum Beispiel knipse lieber am Schalter, bevor ich das Wort Alexa überhaupt ausgesprochen hätte. Und ich weiß, dass der Schalter immer das Gleiche tut, es sei denn, er geht einmal kaputt, wonach ich ihn immer noch selbst auswechseln kann.
Wo bleiben wir als Mensch, wo bleibt der Inhalt unseres Lebens? Kann man sich in so einem Haus noch wohlfühlen, Welche Ziele können wir uns noch setzen, wie werden unsere Kinder heranwachsen? Haben Originalität und Kreativität noch einen Platz oder degenerieren unsere kognitiven Synapsen zu einer funktionslosen grauen Masse? Oder lassen wir uns gleich zur komplett steuerbaren Geldverteilungsmaschine umfunktionieren?
Haben Individualität und kreative Unordnung in einem solchen Heim noch Platz, hört man dort noch einen Vogel singen oder bleiben die Fenster ferngesteuert zu? Macht man als Mensch noch die Erfahrung, mit der Natur zu leben, oder wie schön es ist, etwas eigenes zu schaffen, am Abend vom Tagwerk rechtschaffen müde zu sein? Fällt uns angesichts von ständig einlullendem Prime-Entertainment noch eine Weise aus Kindertagen ein, die Eltern oder Großeltern mit uns gesungen haben und greift noch jemand zur Gitarre? Falls es in einem solchen Haus gar noch ein Klavier geben sollte, so ist es bestimmt auch vernetzt, zeigt dem Spieler an, wann er zu spielen hat und welche Pulsfrequenz er dabei entwickelt. Vielleicht wird auch der Korrelationskoeffizient zu einer Interpretation des Stückes von Vladislav Richter oder Lang Lang errechnet.
Als angehende Ingenieure hatte man uns einmal gelehrt, dass die eine Art von Technik zum Wohle der Menschen geschaffen wird, die andere zu deren Schaden – klar, zu welcher Kategorie wir uns berufen fühlten. Inzwischen wird es aber immer schwieriger, Heil und Wehe voneinander zu unterscheiden. Ein Segen wird das Amazon-Haus wohl bestimmt nicht sein.
Mein Credo: Ja zu Erleichterungen von Routineaufgaben im Alltag aber klares Nein zu allem, was uns unserer Selbstbestimmung beraubt und unser Leben kanalisiert und abstumpft!
Um es mit Goethe zu sagen: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss!
Übrigens: Unser Zirkulationscontroller ist auch intelligent, aber dabei ein loyaler Diener, der nicht in unser Leben eingreift sondern nur lernt, wie ohne Einschränkung unseres seit langem gewohnten Lebensstandards Energieressourcen geschont werden können – garantiert ohne Vernetzung und ohne „Big Brother“
Ulrich Clauß